Es ist Sonntag, 9. Oktober 2016, 8:20 Uhr. Die Luft ist sehr feucht, diesig, etwas nebelig. Etwas über 40 übermüdete, teilweise arg erschöpfte, immer aber sehr glückliche Wanderer gehen zusammen die letzten Meter einer nun 23,5 Stunden und 100 Kilometer langen Reise. Zum Schluss wird die Ziellinie übersprungen, bevor man sich erleichtert in die Arme fällt und sich gegenseitig beglückwünscht.
Auch Fräänk und ich sind in der Gruppe und freuen uns riesig. Ich, weil ich im dritten Anlauf einen 100-Kilometer-Marsch geschafft habe. Fräänk, weil er es gleich im ersten Anlauf gepackt hat. Wir beide, weil wir es nun wegen dem jeweils anderen nicht erneut probieren müssen 🙂 Aber fangen wir von vorne an…
Pünktlich um 9:00 Uhr eröffnen die Veranstalter und der Schirmherr am Samstag unser Wochenend-vergnügen. Und eben pünktlich zum Start fängt es an zu regnen. Glücklicher Weise hält der Schauer nicht lange und nach gut einem Kilometer erreichen wir – wieder recht trocken – die Fähre. Auf der Geltower Seite des Caputher Gemündes kennen wir den Weg. Er führt uns am Ufer des Petzin- und Templiner Sees bis zur Eisenbahnbrücke. Die Gruppe startet ordentlich schnell, als wollen wir die „verlorene Zeit“ auf der Fähre wieder aufholen. Ich bleibe aber bei meinem gewohnten Tempo. Einige sehen es genau wie ich und so zieht sich die knapp 80 Menschen große Gruppe gut auseinander. Aber der enge Aufgang zur Brücke lässt alle wieder aufschließen.
Auf der anderen Seite des Templiner Sees angekommen, nehmen wir den ersten 30 Meter Anstieg in die Ravensberge. Hier ist der Weg sehr angenehm und wir legen nach ca. 1 Stunde die erste kleine Rast im Wald ein. Danach geht es zügig über den Brauhausberg am Ufer der Havel entlang in den Babelsberger Park. Das Wetter ist mittlerweile aufgeklart. Die Sonne wärmt und trocknet. Die Wanderung macht Spaß! Am Wegesrand im Park supporten uns meine Mädels mit Bananen und einer großen Hand voll Minisalamis vom Wochenmarkt. Wir müssen uns beeilen, denn die Gruppe zieht weiter. Kurz hinter dem Kleinen Schlösschen geht es rechts den Anstieg zum Schloss Babelsberg hinauf. Hier hat die erste Teilnehmerin bereits Probleme zu folgen. Ich begleite sie. Nach weiteren 10 Kilometern wird sie als erste aussteigen.
Es folgt ein kleiner Spurt und dann gibt es die erste lange Pause im Schloss Glienicke. Die Gulaschsuppe ist schmackhaft und mit genügend Vollkornbrot werden wir auch satt 😉 Es bleibt genügend Zeit zum Essen, Entspannen und zur Körperpflege. Mit neuen Kräften geht es über die Glienicker Brücke und den Neuen Garten über einen großen Bogen hinauf zur Belvedere auf dem Pfingstberg. Leider bleibt hier nicht viel Zeit zum Gucken, denn bis zum nächsten größeren Stop am Neuen Palais ist noch etwas Weg zu meistern.
Der Weg führt uns bei weiterhin tollem Wetter quer durch Potsdams Norden, über den Ruinenberg und das Krongut Bornstedt hinein in den Park Sanssouci. Hier werden wir von vielen Besuchern argwöhnisch begutachtet. Der eine oder andere traut sich zu fragen, wer wir sind 🙂 Im Park schlagen wir einige Haken, bevor wir bei Kilometer 28 für 15 Minuten an der Touristeninfo neben dem Neuen Palais rasten. Hier erwartet mich meine ganze Familie und mein Schatz hat super leckere Kekse dabei – jummy! Straußi bringt noch etwas Energy-Drink mit und ich habe ein recht gutes Gefühl, denn bisher gibt es keine Beschwerden. Auch Axel und Fräänk geht es (noch) sehr gut. Neuerlich gestärkt und von den Lieben motiviert, geht es auf den 12 Kilometer und rund 2,5 Stunden langen Abschnitt bis zur nächsten langen Pause. Der Weg führt uns parallel zu den Gleisen Quer durch Golm, wo wir einen Abstecher auf den Reiherberg unternehmen. Das Tempo hat sich etwas reduziert und hat unseren Standardschnitt erreicht.
Zwischen den einzelnen Grüppchen wechseln die Wanderer hin und her, so dass man immer wieder andere interessante Gesprächspartner findet. Wir verlassen Golm in Richtung Bornim, schwenken aber schnell nach links auf die Felder in Richtung Wublitz, Der Reiherberg bleibt in Sichtweite und wir umrunden ihn quasi in einem sehr weiten Radius. Schließlich passieren wir das Schloss Golm, um im Endspurt wieder zu den Gleisen zu gelangen. Alles mündet an der Eisenbahnbrücke, die uns von Wildpark nach Werder führt. Hier wartet schon der kleine Dampfer „Bismarckhöhe“ auf uns, um uns auf die Insel Werder zu bringen.
Für die meisten ist die ca. 20 minütige Fahrt eine gute Pause. Einige anderen haben schwer zu kämpfen. Bereits vor der Abfahrt ist für die nächsten 10 Teilnehmer klar, dass die nächste Pause ihre letzte auf diesem Marsch sein wird. Und auch Axel erwischt es böse. Wahrscheinlich viel zu schnell in das sehr warme Boot gestiegen, rutscht ihm der Kreislauf in die Schuhe. Er verbringt die Bootsfahrt liegend auf dem Boden. Leider bessert sich sein Zustand kaum, so dass er hier abbrechen muss. Wir rufen seine Frau und warten mit ihm am Bootsanleger. Damit ist das Abendessen im Insel Hotel passé, aber mein Schatz bringt uns frische Bratnudeln!!! Dazu zaubert Fräänk je eine Flasche „Potsdamer Stange„ aus der Tasche. Einfach göttlich 🙂
Wir präparieren uns im Freien für den nun langen Nachtteil des Marsches und schlendern nun auch zum Hotel. Hier erwarten uns die nächsten Aussteiger. Ich denke ca. 20 Teilnehmer verlassen uns. Der Rest macht sich geschlossen auf den in Richtung Kemnitz. WIr durchqueren Werder in Richtung Jugendhöhe und wenden uns nach gut einem Kilometer dem Ufer des Plessower Sees zu. Der schmale Weg zieht die Gruppe in einen max. 2 Menschen breiten Wurm. Wir bleiben am Ufer, bis wir schließlich die A10 kreuzen. Nach einigen Metern mehr kommen wir in Kemnitz an. Endlich mal wieder die Stirnlampen abnehmen! Leider kehren wir nicht beim Rittmeister ein. Der feiernden Gesellschaft scheint das Bier zu schmecken. Rund einen Kilometer nach dem Ortsausgangsschild rasten wir für 15 Minuten am Straßenrand. Es gibt heißen Kaffee zur nächsten Banane, bevor wir uns auf den härtesten Abschnitt machen:
Bis zur nächsten großen Pause in Schultz’ens Siedlerhof braucht es rund 16 Kilometer über die Glindower Platte. Doch bevor wir diese betreten, haben die Organisatoren noch ein kleines Schmankerl vorbereitet: Das Lilienthal-Denkmal in Derwitz ist wunderbar beleuchtet und der viel zu kurze Ausblick belohnt trotzdem für den Aufstieg. Nachdem wir die B1 und noch einmal die A10 kreuzen, geht es in die bekannten Obstplantagen. Der Weg ist recht eben, allerdings fast ausschließlich auf Beton – teils Platten, teils gänzlich gegossen. Die Grasnarbe neben dem Weg ist unbegehbar und so müssen wir auf dem ermüdenden Geläuf bleiben. Wir sind mittlerweile recht weit hinten in der Gruppe angekommen, haben aber immer noch genügend Luft auf den letzten Mann. Wir folgen den Stirnlampen der anderen. Die uns nicht bekannte Route und der böige Wind macht uns sehr zu schaffen. Nicht nur einmal fragen wir uns, was wir hier tun.
Dann sind endlich Fackeln zu sehen. Wir wähnen uns der Rast nah, doch „leider“ haben wir „nur“ den Telegrafenberg erreicht. Für das idyllische Lichterspiel haben wir wenig Nerven und gehen sofort weiter. Gut 45 Minuten später – so gegen 0:30 Uhr – erreichen wir als zwei der Letzten den Siedlerhof. Viele erschöpfte Gesichter begrüßen uns. Einige werden hier ihren Ausstieg suchen! Für uns gibt es noch jede Menge heiße Kürbissuppe. Man ist die lecker und so schön warm 🙂 Dazu – mal wieder – 2 Bananen und ’n Kaffee. Was kann es besseres geben?
Wir sind jetzt bei ca. Kilometer 70. Meine Füße brennen und die Beine sind mehr als schwer. Aber wir sind uns bereits jetzt in zwei Punkten sicher:
- Wir werden es dieses Mal schaffen!
- Wir werden es nie wieder versuchen!
Nach 50 Minuten verlasse ich als letzter den Hof und wir finden uns in einer Vierergruppe zusammen, in der wir so mehr oder weniger bis zum Ende durchhalten werden. Es geht nun über die Felder Bliesendorfs und den Wald im Kamerode in Richtung Petzow. Auch wenn ich hier schon oft unterwegs war, kenne ich die meisten Pfade nicht. Aber der Boden ist angenehm und lässt mich meine Blase fast vergessen. Nach weiteren 10 Kilometern erreichen wir das Waschhaus im Schlosspark Petzow. Hier gibt es super leckeren, frisch gebackenen Kuchen. Und trotz der Gewissheit, dass es nun alle Stunde eine Pause geben wird, müssen weitere aussteigen und die Gruppe dezimiert sich auf knapp 45 Teilnehmer.
Nun geht es entlang des Schwielowsees bis nach Ferch. Nach einer kurzen Pause auf dem Sportplatz geht es zum letzten Gewaltakt: der Aufstieg zum Wietkiekenberg! Laut dem letzten der Wanderführer nehmen wir den kurzen, aber steilen Weg. Was für eine Quälerei!!! Zum „guten Glück“ geht nun auch die Blase in meinem rechten Schuh auf. Zum Glück brennt es nur leicht. Auf dem Berg angekommen, gönnen sich einige den Aufstieg auf den Aussichtsturm. Da es um halb 6 morgens im Oktober aber nicht viel zu sehen gibt, gebe ich mir diesen Spaß nicht. Zur allgemeinen Abkühlung hat es wieder angefangen zu Nieseln, aber das merke ich neben dem vielen Schweiß auf meiner Stirn nicht mehr.
Bergab wird der Weg deutlich schlechter. Unter vielem Laub und unzähligen Ästen versteckt sich mancher Stein. Einer wird mir zum Verhängnis und lässt mich stürzen. Ich kann den Sturz abfangen und schlage mir das Knie leicht auf. Aber auch das spüre ich kaum noch. Die Euphorie des nahen Ziels wächst. Endlich wieder auf fester Straße gibt es neue Stärkung. Jetzt wird der Verein durch die örtliche Feuerwehr unterstützt. Es geht weiter Richtung Lienewitzsee quer durch den Wald bis hin zum Caputher See. Hier kenne ich mich wieder etwas aus, da die Route über einen Abschnitt des „Caputher Neujahrslaufes“ verläuft. Nach gefühlt endlosen Wegen durch den Wald erreichen wir endlich die Ortsgrenze von Caputh.
Die letzten 1500 Meter gehen wir in einer Gruppe von ca. 20 Teilnehmern. Die Durchhalteparolen von Axel per SMS gehen tief ins Gemüt. Nach dem letzten Anstieg treffen wir nun auch auf die „Sprinter“, so dass wir die letzten 250 Meter gemeinsamen gehen und zusammen über die Ziellinie hüpfen! WAS FÜR EIN GEFÜHL!!!
Fazit
Der Marsch war absolut super organisiert. Die Führung war Klasse und die Verpflegung wirklich der Hammer! Vielen Dank an die tollen Support an alle, die geholfen haben.
Dass wir zusammen geblieben sind, tat uns sehr gut. Ich kann aber auch verstehen, dass es für einige Schnelle etwas nervig war. Aber gut, das stand ja von Anfang an so fest.
Dass es keine Route gab, war nur in der Nacht einige wenige Male störend. Wenn man auf den letzten Führer warten muss, um nicht vom Weg ab zu kommen, ist das nicht so schön. Und manchmal hätte etwas Orientierung auch motiviert 😉
Ich werde die 100-Kilometer-Tour nicht wieder machen, aber die halbe Runde könnte man sich gern wieder geben! 🙂
Die MAZ hat auch berichtet: http://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam-Mittelmark/100-Kilometer-per-Pedes
Und hier ein Rückblick auf die 50-Kilometer-Runde: https://www.genusswanderungen.de/24-stunden-potsdam-havelland-unser-rueckblick-auf-die-50-km-wanderung/